Die digitale Transformation für Lackunternehmen ist eine große Herausforderung, aber alternativlos

Von Wolfram Keller (Korrespondenzautor), Ulf Stalmach, Ralph Wörheide

Alle Branchen, einschließlich der Beschichtungsindustrie und ihrer Peripherie, sind derzeit mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, z. B. Rohstoffknappheit, Green Deal, neues Gesetz zur Transparenz der Lieferkette und Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Lösungen für die Herausforderungen werden die Wertschöpfungsketten und Ökosysteme der Beschichtungsunternehmen in mehrfacher Hinsicht verändern. Produktentwicklung, -beschaffung, -formulierung, -anwendung und -recycling werden viel besser nachvollziehbar und transparent. Ohne entsprechende Automatisierung und Digitalisierung gibt es keine Möglichkeit, nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Hinzu kommt, dass die Anforderungen an Transparenz und Berichterstattung in Bezug auf die Lieferkette, den CO2-Fußabdruck und die Produktsicherheit zunehmen und qualifizierte Ressourcen, z. B. Labortechniker, Datenanalysten und Wissenschaftler, knapp sind.  Es ist unwahrscheinlich, dass ein einzelnes Unternehmen all diese Herausforderungen allein und rechtzeitig bewältigen kann. Die Bündelung der Kräfte ist eine gute Option. Durch die gemeinsame Nutzung von Daten können Lackunternehmen kontinuierliche Informationsschleifen von Produkten, Dienstleistungen und Anwendungen aus der gesamten Wertschöpfungskette aufbauen. Dies ist erforderlich, um fortschrittliches maschinelles Lernen, Modelle und Simulationen zu ermöglichen.

Das Konzept der Smart Paint Factory konzentriert sich auf die Datenintegration innerhalb von und zwischen Unternehmen. Die Beteiligten müssen offen für den Informationsaustausch sein und eine schnelle und integrierte Datenkommunikation in der gesamten Wertschöpfungskette organisieren.

Anzahl und Intensität der Kooperationen mit Partnern, deren Kompetenzen und Ressourcen die des Lackherstellers ergänzen, werden stark zunehmen. Um die daraus resultierende Informationsflut zu beherrschen und einen Mehrwert zu schaffen, ist eine Smart Paint Factory eine attraktive Option, die allerdings zwei Dinge voraussetzt. Erstens müssen die Unternehmen ihre Datenmanie überwinden. Die interne, funktionsübergreifende gemeinsame Nutzung von Daten und Informationen ist heute in vielen Lackfirmen ein großes Problem. Das Problem wird sichtbar, wenn erfahrene Lacktechniker oder Chemiker in den Ruhestand gehen und ihr implizites, nie dokumentiertes Wissen mit ihnen verloren geht. An einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch mit Lieferanten und Kunden ist heute kaum zu denken. Zu sehr wird auf Know-how als Alleinstellungsmerkmal gesetzt und personengebundenes Wissen trotz der Verfügbarkeit sicherer IT-Systeme aufrechterhalten. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) ist eine attraktive Methode, deren Deep-Learning-Modelle jedoch ein hohes Volumen an verlässlichen Daten benötigen. Diese kritische Menge an Daten entlang der Wertschöpfungskette kann nicht von einem Unternehmen (Rohstoffhersteller, Lackhersteller, Anwender) allein gesammelt werden.

Abbildung C1: Entwicklung von zunehmend datenbasierten Geschäftsmodellen während des Übergangs von Lackfirmen von Old Economy zu New Economy

Zweitens müssen Beschichtungsunternehmen bereit sein, ihr hauptsächlich produktorientiertes Geschäftsmodell um Schlüsselelemente digitaler Geschäftsmodelle zu erweitern. Das Geschäft von Unternehmen der New Economy hängt in hohem Maße von der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Wertschöpfung und Umsatzgenerierung ab.

In datengesteuerten Geschäftsmodellen werden Daten gesammelt, strukturiert und analysiert, um jede Art von geschäftsbezogener Entscheidung zu treffen, z.B. zur Optimierung von Prozessen, neuen Angeboten oder strategischen Optionen.

Datenzentrierte Geschäftsmodelle definieren, wie neue/andere Arten von Daten das Geschäft unterstützen und neue, vor allem digitale Angebote schaffen können. Datenzentrierte Geschäftsmodelle gehen über die Vorteile der anderen Geschäftsmodelle hinaus, sind aber nicht auf Lackunternehmen mit einem starken Schwerpunkt auf physischen Produkten anwendbar.

Jedes Unternehmen wird sein eigenes “hybrides” Geschäftsmodell finden müssen, je nachdem, wie stark das physische Kerngeschäft, d.h. Farben und beschichtete Oberflächen, erhalten bleiben soll und wie sehr es durch Automatisierung und Digitalisierung optimiert bzw. weiterentwickelt werden soll.

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie über nachhaltige Digitalisierung in der Lackindustrie, das Konzept der Smart Paint Factory und die Smart Paint Factory Alliance, SPFA